Arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit – Was sind die Rechtsfolgen hinsichtlich Lohnfortzahlungspflicht und Kündigungsschutz?

Immer häufiger treten in der heutigen Arbeitswelt Konstellationen auf, bei welchen Arbeitnehmende infolge der damit verbundenen hohen psychischen Belastung nicht mehr in der Lage sind, die geforderte Arbeitsleistung an ihrer konkreten Stelle zu erbringen. Dies, während bei ihnen gleichzeitig weder in der privaten Lebensgestaltung noch in einem anderen Arbeitsumfeld eine (massgebliche) Einschränkung der Leistungsfähigkeit besteht. Der Grund dafür liegt häufig in einem Arbeitsplatzkonflikt, einer Mobbingsituation oder ganz generell am Stress, der am Arbeitsplatz erlebt wird. Die Rechtsprechung und Lehre sprechen in dieser Konstellation von einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit.

Besonders häufig sind Arbeitgeber nach einer von ihnen ausgesprochenen Kündigung mit solchen Krankheitsfällen konfrontiert. Regelmässig treten sie dann mit der Fragestellung an uns Praktiker, welche Rechtsfolgen an eine solche arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeit geknüpft sind bzw. ob diese anders zu beurteilen ist, als eine nicht auf die konkrete Stelle beschränkte, gewissermassen generelle Arbeitsunfähigkeit. Vor diesem Hintergrund möchte ich in der Folge die beiden wesentlichsten Rechtsfolgen einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit, die Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin und der (fehlende) zeitliche Kündigungsschutz des Arbeitnehmers, beleuchten.

Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit?

Seit längerem unumstritten ist, dass Arbeitnehmende, welche infolge einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit an der Arbeitsleistung verhindert sind, (sofern die Verhinderung unverschuldet ist und das Arbeitsverhältnis zum Zeitpunkt des Eintritts der Verhinderung mindestens drei Monate gedauert hat oder für mehr als drei Monate eingegangen worden ist), gestützt auf Art. 324a OR für eine beschränkte Zeit Anspruch auf Lohnfortzahlung haben. Sie sind diesbezüglich genau gleichgestellt wie die Arbeitnehmenden, die in Bezug auf jeden Arbeitsplatz bzw. generell arbeitsunfähig sind. Wie lange die Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberinnen im Einzelfall dauert, bestimmt sich, sofern eine vertragliche Regelung fehlt, nach den von den Arbeitsgerichten entwickelten Skalen zur Lohnfortzahlung (Berner, Zürcher und Basler Skala), wobei für die beiden Basel die Basler Skala zur Anwendung gelangt. Diese sieht bspw. für das erste Dienstjahr eine Lohnfortzahlung von drei Wochen, für das zweite und dritte Dienstjahr von zwei Monaten und für das vierte bis zehnte Dienstjahr von drei Monaten vor.

In diesem Zusammenhang sei noch darauf hingewiesen, dass Arbeitgeberinnen für ihre Arbeitnehmenden nicht selten eine Krankentaggeldversicherung abschliessen, um diese gegen das Lohnausfalls- und sich selber gegen das Lohnfortzahlungsrisiko im Krankheitsfall abzusichern. Eine solche Krankentaggeldversicherung ersetzt die gesetzliche Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberinnen, wenn sie gleichwertig ist, worunter gemäss Lehre und Rechtsprechung nach aktueller Auffassung verstanden wird, dass die Versicherung ohne Wartefrist bzw. mit einer kurzen Wartefrist (von bis zu drei Karenztagen) 80% des Lohnes während zwei Jahren leistet und sich die Arbeitgeberin und der Arbeitnehmer die Versicherungsprämie je hälftig teilen. Liegt ein Fall arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit vor, setzen die Krankentaggeldversicherungen den Arbeitnehmenden gestützt auf deren Schadensminderungsobliegenheit als Versicherte regelmässig eine Frist von - je nach Konstellation - einigen Wochen oder Monaten für die Suche nach einer neuen Arbeitsstelle an und kündigen für die Zeit nach dem Ablauf der betreffenden Frist die Einstellung ihrer Taggeldleistungen an.

Zeitlicher Kündigungsschutz bei arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit?

Bis vor kurzem noch nicht höchstrichterlich geklärt war die Fragestellung, ob diese Gleichstellung von generell arbeitsunfähigen Arbeitnehmenden und solchen, die bloss arbeitsplatzbezogen arbeitsunfähig sind, auch in Bezug auf den zeitlichen Kündigungsschutz gilt, sprich ob auch arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähige während gewissen Zeitperioden von einem sog. Sperrfristenschutz profitieren.

Der Gesetzgeber sieht bekanntlich vor, dass Arbeitgeberinnen das Arbeitsverhältnis mit den Arbeitnehmenden, wenn diese unverschuldet an der Arbeitsleistung verhindert sind, nach Ablauf der Probezeit im ersten Dienstjahr während 30 Tagen, ab dem zweiten bis fünften Dienstjahr während 90 Tagen und ab dem sechsten Dienstjahr während 180 Tagen nicht kündigen dürfen (Art. 336c Abs. 1 lit. b OR). Kündigt eine Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis während diesen Sperrfristen dennoch, ist die betreffende Kündigung aufgrund der Verletzung der Bestimmung zum zeitlichen Kündigungsschutz nichtig und damit unwirksam. Tritt die Arbeitsunfähigkeit indes erst nach bereits erfolgter Kündigung ein, steht die Kündigungsfrist während dieser Kündigungssperrfristen still (Art. 336 Abs. 2 OR). Diese Sperrfristen dürfen im Übrigen vertraglich verlängert, nicht aber verkürzt werden.

Mit einem wegweisenden Entscheid vom 26. März 2024 hat sich das Bundesgericht mit der Fragestellung der Anwendung des zeitlichen Kündigungsschutzes auf arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeiten auseinandergesetzt und dabei entschieden, dass der Kündigungsschutz in diesen Konstellationen nicht greift. Nach Auffassung des Gerichts sei die Bestimmung zum zeitlichen Kündigungsschutz nämlich dann nicht anwendbar, wenn sich die gesundheitliche Beeinträchtigung des betroffenen Arbeitnehmenden als so unbedeutend erweise, dass sie der Aufnahme einer neuen Arbeitsstelle in keiner Weise verhindern könne (vgl. Entscheid 1C_595/2023 vom 26. März 2024, Erw. 5.1).

Der Sache nach bestätigte das Bundesgericht mit diesem Entscheid die in der Lehre und der kantonalen Gerichtspraxis längst vorherrschende Meinung, dass eine Ausdehnung des Sperrfristenschutzes auf arbeitsplatzbezogene Arbeitsunfähigkeiten mit Blick auf den Zweckgedanken der Bestimmung zum zeitlichen Kündigungsschutz nicht angezeigt sein kann. Dieser besteht nämlich darin, Arbeitnehmende in Zeiten, in denen ihre Chancen bei der Stellensuche erheblich beeinträchtigt sind, vor Kündigungen zu schützen, weshalb bei Krankheitsfällen, die die Aussichten bei der Stellensuche nicht beeinträchtigen, die Anwendung des Sperrfristenschutzes nicht greifen kann.

Fazit zur arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit: Rechte, Kündigungsschutz und Lohnfortzahlungspflicht

Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die Arbeitnehmenden im Falle einer arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit – genau gleich wie bei einer generellen Arbeitsunfähigkeit – für eine bestimmte Zeit über einen Lohnfortzahlungsanspruch verfügen. Anders als im Vergleichsfall einer Arbeitsunfähigkeit in Bezug auf jede Arbeitsstelle begründen Fälle von arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit nach neuer Rechtsprechung indes keinen Sperrfristenschutz mehr. Dies mit der Konsequenz, dass in solchen Konstellationen Kündigungen trotz bestehender arbeitsplatzbezogener Arbeitsunfähigkeit wirksam sind und nach bereits erfolgter Kündigung ein solcher Krankheitsfall auch keine Unterbrechung des Laufes der Kündigungsfrist nach sich zieht, was im Ergebnis eine nicht unerhebliche Einschränkung des Kündigungsschutzes bedeutet.

Bei Fragen zur arbeitsplatzbezogenen Arbeitsunfähigkeit und deren Rechtsfolgen steht Ihnen Christian Stöbi, Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Arbeitsrecht, gerne beratend zur Seite und unterstützt namentlich im Zusammenhang mit sich abzeichnenden oder bereits erfolgten Kündigungen sowohl Arbeitnehmende als auch Arbeitgeberinnen dabei, Ihre Ansprüche - nötigenfalls auch prozessual - geltend zu machen.

 

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