Überlegungen zum faktischen Impfzwang und Impfobligatorium für Angestellte in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen

Die nachfolgenden Ausführungen setzen sich mit ausgewählten Aspekten eines Impfobligatoriums bzw. eines allfälligen faktischen Impfzwangs im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie auseinander. Der erste Teil zeigt aktuelle Fragen zu einem faktischen Impfzwang in der Privatwirtschaft auf. Im zweiten Teil wird das Thema eines möglichen Impfobligatoriums für Angestellte in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen beleuchtet.

Grundsätzlich kein staatlicher Impfzwang

Ein allgemeiner Impfzwang von Seiten der Behörden ist in der Schweiz kein Thema. Der Staat kann grundsätzlich niemand zu einer Impfung zwingen. Gestützt auf Art. 6 Abs. 2 lit. d des Bundesgesetzes über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (Epidemiengesetz, EpG) können der Bundesrat und bei erheblicher Gefahr auch die Kantone gemäss Art. 22 EpG jedoch ein Impfobligatorium für besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen, besonders exponierte Personen und für Personen, die bestimmte Tätigkeiten ausüben, erlassen. Dies unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips. Die Anordnung eines Impfobligatoriums setzt neben der Eignung und der Zumutbarkeit, die Erforderlichkeit voraus. D.h. dass das Ziel mit weniger weitreichenden Massnahmen, wie Tragen von Schutzmasken und/oder Handschuhen oder einer freiwilligen Impfung nicht erreicht werden. Ein Impfobligatorium stellt daher eine ultima ratio zur Abwendung einer drohenden Gefahr für die Volksgesundheit und -wirtschaft dar.

Faktischer Impfzwang im Privatsektor?

Wie sieht dies bei privaten Anbietern von Waren und Dienstleistungen aus? Könnten private Unternehmen «Nicht-Geimpften» den Zutritt zu Theater, Restaurant oder Flugzeug verweigern? Gibt es somit bald einen indirekten Impfzwang, indem nur noch «geimpften» Personen der Zutritt gewährt wird?
In diesem Zusammenhang sind viele Fragen offen und es besteht grosse Unsicherheit. Es wird künftig einen Diskurs brauchen und auch der Gesetzgeber dürfte gefordert sein. Rechtlich ist die Situation alles andere als klar.

Einig ist man sich, dass private Unternehmen selbst entscheiden, mit wem sie einen Vertrag eingehen wollen oder nicht. Jede Restaurantbetreiberin oder jeder Coiffeur kann beispielsweise selbst entscheiden, ob er oder sie den Gast bedienen möchte oder nicht. Es gilt die sogenannte Vertragsfreiheit. Als Gast oder Kunde hat man keinen Anspruch auf eine Dienstleistung oder eine bestimmte Ware.

Komplizierte gestaltet sich die Frage, wenn es sich um Waren oder Güter des täglichen Bedarfs handelt. Dort gibt es eine sogenannte «Kontrahierungspflicht». Diese bezeichnet die Pflicht Verträge mit allen abzuschliessen, wenn die Dienstleistungen allgemein und öffentlich angeboten werden. Darunter fallen Waren und Güter, die zum Normalbedarf gehören und bei denen die Kundschaft kaum oder keine Ausweichmöglichkeiten hat. So könnten beispielsweise Apotheken und Lebensmittelläden, welche die Grundversorgung sicherstellen, einer Kontrahierungspflicht unterstehen.

Grenzen der Vertragsfreiheit gibt es zum Beispiel auch im Personenbeförderungsgesetz. Wer Personen auf Schienen, Strassen oder dem Wasser transportiert, untersteht grundsätzlich einer Transportpflicht. Ein indirekter Impfzwang durch Unternehmen, die dem Personenbeförderungsgesetz unterstehen nur noch Personen transportiert würden, die «geimpft» sind, ist damit ausgeschlossen.

Anders sieht es beim Luftverkehr aus, im schweizerischen Luftfahrtgesetz besteht keine analoge Bestimmung. Dort und in vielen anderen Bereichen, hindert die schweizerische Rechtsordnung Private nicht daran, einen indirekten Impfzwang einzuführen. Private Unternehmen können mit anderen Worten ihre Waren und Dienstleistungen ausschliesslich «geimpften» Personen anbieten und zur Verfügung stellen.
Der Staat überlässt es bisher weitestgehend den Privaten, wenn auch bloss indirekt über einen Impfzwang zu bestimmen. Es besteht dadurch die Gefahr, dass die epidemiengesetzlich geschützte Wahlfreiheit und Freiwilligkeit von Impfungen in Wirklichkeit keine mehr sind.

Konzertveranstalter und Kinobetreiber könnten grundsätzlich dem Publikum, nur unter Vorweis einer elektronischen Impfbestätigung Einlass gebieten.

Ethische Fragen

Letztlich wird man bei der Diskussion über einen indirekten Impfzwang die Interessen des Einzelnen (persönliche Freiheit konkret der Schutz der körperlichen Integrität und Willensfreiheit) dem öffentlichen Interesse möglichst bald eine «Herdenimmunität» zu erreichen und damit die Gesundheit aller zu schützen, gegeneinander abwägen müssen. Der Interessenabwägung vorangestellt werden muss jedoch die Frage, ob und für wie lange mit der Impfung die gewünschte Immunität erzielt werden kann. In gewissen Bereichen dürfte der Schutz der Volksgesundheit wohl das Interesse des Einzelnen überwiegen und eine Ungleichbehandlung sachlich rechtfertigen. In anderen Bereichen und dazu gehört insbesondere die Grundversorgung, überwiegt das öffentliche Interesse die persönliche Freiheit sich für oder gegen eine Impfung zu entscheiden nicht, und eine Ungleichbehandlung wäre nicht gerechtfertigt.
Zu Diskussionen Anlass geben dürfte auch die Frage, inwiefern mit staatlichen Massnahmen private Unternehmen zu einer Gleichbehandlung von «geimpften» und «nichtgeimpften» Personen gezwungen werden können und damit zum Schutz des Selbstbestimmungsrechts in die Privatautonomie der Unternehmen eingegriffen werden darf.

Die sich stellende rechtliche, gesellschafts-politische und ethische Fragen sollten rechtsstaatlich und demokratisch beantwortet werden.

Impfobligatorium in privatrechtlichen Arbeitsverhältnissen?

Die Zulässigkeit eines Impfobligatoriums stellt sich auch in Bezug auf privatrechtliche Arbeitsverhältnisse. Darf ein Arbeitgeber jemanden entlassen, der sich nicht impfen lassen will?

Aufgrund der Vertragsfreiheit können Arbeitgebende und Arbeitnehmende unter Berücksichtigung der zwingenden gesetzlichen Bestimmungen individuelle Rechte und Pflichten vereinbaren. Um eine Impfpflicht einzuführen steht den Arbeitgebenden neben einer vertraglichen Vereinbarung auch die Möglichkeit einer Weisung zur Verfügung.

In diesem Zusammenhang stellt sich jedoch die Frage, ob ein Impfobligatorium mit dem Persönlichkeitsrecht und dem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit vereinbar ist.
Die Impfung stellt einen Eingriff in die persönliche Freiheit, namentlich die körperliche Integrität und die Willensfreiheit der betroffenen Person dar.

Ein Eingriff in die Persönlichkeit kann bei Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes und dessen überwiegendem Interesse zulässig sein. Als Rechtfertigungsgründe können die Einwilligung, ein öffentliches oder privates Interesse oder eine gesetzliche Grundlage dienen. Die Vereinbarkeit eines Impfobligatoriums mit dem Persönlichkeitsschutz ist letztlich anhand einer Interessensabwägung zu prüfen.
Ein zulässiges Interesse an einem Eingriff in die Persönlichkeitsrechte stellt grundsätzlich das öffentliche Interesse am Gesundheitsschutz dar. Darüber hinaus haben Arbeitgebende auch ein privates Interesse bzw. eine Pflicht die Gesundheit ihrer Arbeitnehmenden zu schützen.

Die Rechtfertigung einer Impfpflicht lediglich aufgrund des Gesundheitsschutzes des Personals wird in der Lehre abgelehnt. Anders ist die Situation zu werten, wenn Angestellte durch ihre Tätigkeit besonders exponiert sind und häufig Kontakt zu infizierten oder vulnerablen Personen wie älteren Menschen, Schwangeren, chronisch erkrankten Personen etc. haben. Wenn Pflegepersonal und Ärzteschaft in direktem Kontakt mit den erwähnten Risikopatientengruppen stehen und mildere Massnahmen wie z.B. das Tragen von Masken und weitere Hygienemassnahmen nicht den notwendigen Schutz bieten oder aus praktischen Gründen nicht umsetzbar sind, dürfte der Gesundheitsschutz der vulnerablen Patientengruppen und des übrigen Personals höher zu gewichten sein, als das Selbstbestimmungsrecht des Angestellten.
Neben dem Interesse am Gesundheitsschutz des Personals und der Patienten, besteht auch das Interesse an der Aufrechterhaltung des Spital- oder Praxisbetriebs, welches durch eine Pandemie beeinträchtigt werden kann. In einer solchen Situation wird ein Impfobligatorium im Interesse des Spitalbetriebs als zulässig erachtet. In Bezug auf die Aufrechterhaltung eines Unternehmens, welches nicht der Grundversorgung der Bevölkerung dient, wären die sich gegenüberstehenden Interessen wohl bereits wieder anders zu gewichten.

Ein Arbeitgeber könnte wohl mittels seines Weisungsrechts Mitarbeitende, die häufig mit besonders vulnerablen und damit besonders gefährdeten Personen in Kontakt stehen zu einer Impfung anhalten. Voraussetzung dürfte aber auch in einem solchen Fall sein, dass mit milderen Massnahmen der Gesundheitsschutz nicht gewahrt werden kann und neben der Immunität auch die Nicht-Infektiosität durch die geimpfte Person wissenschaftlich nachgewiesen ist. Weigert sich der Arbeitnehmende gegen die Weisung sich impfen zu lassen, könnte er auf eine andere Position, bei welcher kein Kontakt zu gefährdeten Personen besteht, versetzt oder gar entlassen werden.

Ob eine im Arbeitsvertrag vereinbarte Impfpflicht zulässig ist, muss im Einzelfall geprüft werden. Eine solche müsste jedoch stets in einem funktionalen Zusammenhang mit der auszuübenden Tätigkeit stehen und sachlich begründet sein. Bei einer drohenden oder grassierenden Pandemie dürfte ein Impfobligatorium, für das Pflegepersonal in Spitälern und Altersheimen, welches täglich Kontakt mit besonders gefährdeten Personen hat, zulässig sein. Steht die Impfpflicht im Arbeitsvertrag dürfte ein grösserer Spielraum bestehen, da die Arbeitnehmenden bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses wissen, dass sie verpflichtet sind, gewisse Impfungen vornehmen zu lassen und mit welchen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie sich nicht impfen lassen. Aber selbst bei einer vertraglich angeordneten rechtlich zulässigen Impfpflicht kann der Arbeitgeber diese nicht zwangsweise durchsetzen. Die Nichtimpfung trotz vertraglicher Verpflichtung würde jedoch eine Vertragsverletzung darstellen und könnte Sanktionen des Arbeitgebers einschliesslich Kündigung nach sich ziehen.

Die meisten Arbeitgebenden schrecken allerdings vor einem Impfobligatorium sei es durch eine Weisung oder vertragliche Verpflichtung zurück. Restriktionen oder gar das Aussprechen einer Kündigung für nicht geimpfte Mitarbeitende, sind vorerst wohl nicht vorgesehen. Es wird versucht mit Argumenten und Sensibilisierungskampagnen mit den Mitarbeitenden in Dialog zu treten. Die Impfung soll freiwillig bleiben. Dies dürfte im Gesundheits- und Pflegebereich auch mit dem Personalnotstand zusammenhängen.
Für Bürojobs und Tätigkeiten ohne Kontakt zu besonders gefährdeten Personengruppen dürfte ein Impfobligatorium wohl nicht zulässig sein. Hier dürfte die persönliche Freiheit der betroffenen Personen, die öffentlichen oder betrieblichen Interessen überwiegen.

Ausblick

Es ist davon auszugehen, dass sich die Gerichte künftig mit der Frage der Zulässigkeit eines Impfobligatoriums, sei es durch einen vertraglich vereinbarten Impfzwang, sei es in Form einer Weisung des Arbeitgebers auseinandersetzen werden müssen.

Falls Sie Fragen haben, so zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren.

Kontakt: Gabriel Nigon, Partner und Stephanie Ruf, MLaw, Rechtsanwältin

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