Wie gut ist mein Arbeitszeugnis wirklich?

Zeugnisse sind eine heikle Sache. Ist wirklich gemeint was drinsteht oder versteckt sich hinter den Formulierungen negative Kritik? Angestellte haben das Recht, jederzeit ein Zeugnis zu verlangen (Zwischenzeugnis) und brauchen dafür keinen Grund anzugeben. Je besser das Zeugnis, desto grösser die Erfolgschancen bei einer Bewerbung. Wie gut ist das Zeugnis aber wirklich?

Die Rede ist von codierten Zeugnissen. Obwohl die Arbeitgeber meistens angeben, dass die Zeugnisse nicht codiert sind, verstecken sich dennoch in vielen Formulierungen Geheimbotschaften für potenzielle neue Arbeitgeber. Dabei scheinen die Formulierungen auf den ersten Blick lobenswert, entpuppen sich aber bei genauerer Betrachtungsweise als versteckte Kritik. Doch wie merkt der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin, ob das Zeugnis codiert ist?

Als Beispiel: „Heidi Muster hat die ihr übertragenen Aufgaben mit grossem Interesse angepackt und war stets bestrebt, ihre Arbeiten zu unserer Zufriedenheit zu erledigen. Sie war ein gesellige Mitarbeiterin, die sich regelmässig durch Anregungen und Verbesserungsvorschläge hervortat."

Dieses Zeugnis sieht auf den ersten Blick ganz gut aus. Bei genauerer Betrachtungsweise sagt das Zeugnis aber so viel aus wie, dass sie eine Plaudertasche und Besserwisserin war, deren Leistungen stark zu wünschen übrig liessen. Zwar bemühte sie sich und zeigte Interesse – doch mehr kann ihr beim besten Willen nicht angerechnet werden.

Arbeitszeugnisse sollten wohlwollend formuliert sein, müssen aber der Wahrheit entsprechen. Es besteht somit nicht automatisch ein Anspruch auf ein „gutes" Zeugnis. Es muss frei von eigenen Meinungen und zweideutigen Formulierungen sein und in einer verständlichen Sprache abgefasst sein.

Es ist wichtig, dass das Zeugnis immer gesamthaft beurteilt wird, da es gefährlich sein kann, einzelne Formulierungen nach versteckten Bedeutungen zu untersuchen. Ausserdem ist zu bedenken, dass nicht nur gewiefte Personalchefs Zeugnisse schreiben, sondern auch Personen, die darin nicht viel Erfahrung haben und vielleicht ohne böse Absicht eine ungeschickte Formulierung wählen. Es empfiehlt sich daher in einem ersten Schritt, das Gespräch mit dem Verfasser zu suchen. Sollte man damit nicht weiterkommen oder sich unsicher sein, wie gut das Zeugnis wirklich ist, besteht die Möglichkeit, das Zeugnis von einer unabhängigen Drittperson überprüfen zu lassen.

Marie-Caroline Messerli, Rechtsanwältin

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